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AutorenbildRichard Altorfer

Achtung! Elefanten im ganzen Haus!

Aktualisiert: 24. Mai 2021

Oder: Über Worte


Die deutschen Fernsehanstalten ARD und ZDF brachten es tatsächlich fertig, in zwei Sendungen über einen Tweet des Oberbürgermeisters von Tübingen zu diskutieren, in dem der (Boris Palmer) – satirisch natürlich, was in der avisierten Zielgruppe wegen der in ihr traditionell tief verankerten Kultur des mutwilligen Missverstehens des öfteren schief geht, so auch diesmal – das Wort «Neger-Schwanz» verwendet hatte, ohne dass das N-Wort auch nur ein einziges Mal ausgesprochen worden oder lesbar gewesen wäre. Ferdinand von Schirach, den man zu einer der beiden Sendungen geladen hatte, wagte immerhin, sich darüber zu beklagen, er hätte in Vorbereitung auf die Sendung mehr als eine halbe Stunde darauf verwenden müssen, herauszufinden, worüber er überhaupt zu diskutieren geladen war, weil nirgends in deutschen Medien das Wort, von dem er schliesslich erfuhr, es sei das N-Wort (auch er sprach es, wenn auch eher aus Höflichkeit gegenüber dem eiernden Talkshowmaster, das Wort nicht aus) ungeschwärzt oder unverpiepst zu sehen oder zu hören gewesen sei. (Anmerkung: Sage niemand mehr, in Deutschland dürfe nicht jeder denken und sagen, was er will. Das Wort «Schwanz» jedenfalls unterlag richtigerweise – ganz anders als noch vor zehn Jahren – keinem Tabu.)


Ergänzung: In diesem Zusammenhang mag so manchem der (vermutlich längst nicht mehr als solcher zu benennen erlaubte) Basler Webstübler-Witz in den Sinn kommen, bei dem sich die Webstübler (für Nicht-Basler: selber googeln!) die Witze nicht mehr in voller Länge erzählen, sondern sich nur noch Zahlen zurufen, worauf die Zuhörer in schallendes Gelächter ausbrechen. Bis schliesslich einer mit einer Zahl – sagen wir 66 – nur betretenes Schweigen erntet. Wenn Sie wissen wollen, warum, versuchen Sie’s herauszufinden … (Herr von Schirach hat schliesslich auch lange selber suchen müssen.)


Zu beiden Geschichten passt eine (nur ungefähr zitierte) Anmerkung aus der Aargauer Zeitung (2016): «Verschämt sollen neue Namen Geschichten vergessen machen – nur: sie machen damit auch vergessen, wo Kultur (z.B. das Basler Kulturgut «Webstübler») ihren Anfang nahm.» (Schon klar, nicht alles, was mal war, ist auch «Kultur», aber es verliert auch nicht alles nur deshalb seinen kulturellen Status, weil es ein paar selbsternannte Meinungsmacher zu canceln versuchen. Oder will jemand dafür verantwortlich sein, dass die – zweifellos zeitlich beschränkte – Kultur des «Genderns» dereinst auch gecancelled wird?)


Wer glaubt, Namensänderungen oder Verbote von Wörtern würden etwas ändern an unerwünschten Zu- und Umständen, gleicht ein wenig jenem Kind, das sich mit beiden Händchen die Augen zuhält und überzeugt ist, jetzt könne niemand es mehr sehen. Wer das Wort Neger durch Schwarze ersetzte hat, hat inzwischen das Wort Schwarze bestimmt durch Afroamerikaner, das Wort Afroamerikaner durch Farbige und das Wort Farbige seit ein paar Wochen (Tage? Stunden?) durch POC (People of Color) ersetzt und wird, so er nichts dazu gelernt hat, in Kürze auch die POC durch einen neuen Sozio-Tag ersetzen, den sich eine rasende Anti-ismuscommunity ausgedacht hat. Eine Community, die nicht wissen will, dass sich Gedanken nicht durch Umbenennung von Zuständen umorientieren lassen. Worte sind nämlich ziemlich flüchtig. Gedanken hingegen arg beharrlich. (Anmerkung: Wer schwul ist, wird, darin ist man sich ziemlich einig, auch nicht durch sehr viele Worte – etwa eines gutmeinenden Psychologen – hetero. Das hatten eigentlich alle mal begriffen. Und hielten es für gut so.)




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