I
Der Bundesrat hat keinen leichten Job. Ringsum Lobbyisten. Hier die Gastronomen, dort die Bergbähnler und die Bergkantonsregierungsräte und ganz hinten die Zoobetreiber und die Gärtner. Kein Wunder ist das Resultat ein «differenziertes» Regime: Geschlossen werden die unter dem allwinterlichen Gedränge leidenden Botanischen Gärten und die Zoos, offen bleiben dafür die Skistationen mit ihren auf Abstand optimierten Gondeln.
II
Kann ja sein, es ist morgen schon wieder anders, aber Stand heute ist das Wallis der einzige Kanton, in dem man Skifahren und snöbern und anschliessend ins Restaurant essen gehen darf. Wie sagte Frau Sommaruga? «Es braucht jetzt die ganze Schweiz.» Soll das heissen, die ganze Schweiz macht sich auf ins Wallis?
III
Quarantäne früher: die (potenziellen) Träger und Verbreiter einer Krankheit wurden isoliert, ausgeschlossen aus den Städten, mussten vor den Toren oder auf den Schiffen (vor Venedig zum Beispiel) warten oder wurden gar in Seuchenhäusern untergebracht, und zwar für «quaranta giorni» (40 Tage, daher der Name). Bei Corona, der Pest der Neuzeit, wünschen sich's viele umgekehrt: Statt der Über-Träger der Krankheit sollen gefälligst die Gefährdeten – Alte, Heimbewohner, Risikogruppen – ausgeschlossen oder im Seuchen-Hotel (Altersheim) isoliert werden. Modern times eben.
IV
Besorgte in Coronazeiten: Wir sollten Sicherheitsgurten aus den Autos verbannen. Sie vermitteln den Autofahrern ein falsches Gefühl von Sicherheit. Ausserdem fördert die stundenlange Einengung des Brustkorbs psychische Krankheiten.
V
«Bliib xund!» dürfte wohl der am häufigsten geäusserte Wunsch 2020 sein. Eine Floskel? Schon. Und doch ist man versucht, diesen Wunsch irgendwie ernster zu nehmen und aufrichtiger zu meinen als andere, tausendfach gewohnte Phrasen. Vielleicht weil er immer auch ein bisschen an einen selber gerichtet ist?
VI
Wenn man auf Facebook Posts liest wie «Krank wird jeder, der krank werden muss. Das ganze Theater schwächte die Menschheit mehr denn je. Brecht den ganzen Mist jetzt einfach ab und lasst die Natur ihre Arbeit machen....» und ein Dutzend Likes dazu sieht, wächst der Verdacht, dass eine bisher kaum beachtete Mutante des Corona-Virus sich längst stärker ausgebreitet hat, als man annimmt, und selbst bei physisch Gesunden schwerste zerebrale Schäden verursacht hat.
VII
Ja, ja, der Herr Koch. Wie meinen? «Erklären ist wichtiger als Tun». Echt jetzt? Nein, Herr Koch, total falsch. Es gibt Krisen, da ist Tun wichtiger als Erklären. Dann nämlich, wenn Nichtstun und Abwarten Menschenleben kostet. Und vor allem dann, wenn die Erklärungen auch noch falsch sind («Masken helfen nicht.»).
VIII
Erinnern Sie sich? Waren Sie auch, wie fast alle Schweizer, davon überzeugt, unsere Forscher würden die ersten sein, die einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 entwickeln? So suggerierten es jedenfalls die Reportagen und Forscher-Porträts in den einschlägigen SRF-Sendungen. Die Schweiz und ihre Pharmaindustrie – Spitzenklasse, kein Zweifel. Doch leider, ein knappes Jahr später: Keiner der zwischen Selbstüberschätzung und naivem Optimismus taumelnden Virologie-Cracks ist mehr im Rennen. Letzteres haben andere gemacht: Deutsche, Amerikaner, Engländer, dazu Russen und Chinesen. (Ja doch, mit Janssen-Cilag, auch in US-Händen, hat die Schweiz zumindest einen Fuss drin im Impfstoff-Business. Theoretisch wär’s sogar möglich, dass der in der Schweiz vermutlich als vierter zugelassene Impfstoff in Schaffhausen oder aber in Bern produziert wird.). Zum Glück haben wir noch die Diagnostik von Roche und die Lonza, die Impfstoffe im Auftrag produziert. Was die ernüchternde Tatsache uns lehren könnte? Bescheidenheit, Enttäuschung, ein bisschen Erschrecken und … ja, durchaus … ein klein wenig Scham ob der Erkenntnis: Wir Schweizer sind nicht mehr unbesehen die Besten, bezüglich Corona schon gar nicht.
IX
Typischer Facebook-Dialog in diesen Tagen: «Ich bin so unendlich müde, traurig, kraftlos und mittlerweile auch wütend und enttäuscht.» Emotionale Worte einer Krankenschwester auf der Intensivstation in einer deutschen Grossstadt. – Die Antwort von M.D. folgt auf dem Fuss: «Die soll sich einen neuen Job suchen. Die Krankenhäuser waren die letzten Monate unterdurchschnittlich belegt. Auch jetzt sind sie nirgends überfüllt. Wenn es nicht klappt, Pausen zu organisieren, liegt das eher am Arbeitgeber und nichts anderem. Worüber beklagt sie sich?» Kommentar? Überflüssig.
X
Sogar gestandene Ärzte vertreten ganz und gar kuriose Ideen. Gebildete Leute demonstrieren gegen völlig harmlose Massnahmen zur Pandemiebekämpfung. Und bisher scheinbar vernünftige Bekannte vermuten auf einmal eine Welt- oder zumindest EU-Regierung, deren wichtigste Ziele Diktatur, Versklavung und Bevölkerungsreduktion in einem sind. Es schimpfen sogar Leute über Stoffmasken, die zuhause noch Gasmasken von der letzten Anti-Fascho-Demo eingemottet haben. Der Irrsinn erreicht alle Schichten: Arme, Reiche, Gebildete, Strohdumme. Ein lieber Kollege, der sich im Spital über das Coronamanagement Gedanken machte, sich um potenziell überlastete Intensivstationen und einen Mangel an Beatmungsgeräten kümmerte, antwortet auf die Frage, an was es denn beim Coronamangement am meisten gemangelt habe und an was es noch immer mangle, lakonisch: «An Verstand.»
XI
China wählte zum Schutz seiner Bürger vor Covid-19 deren umfassende Überwachung und autoritäre Lenkung. Die Strategie erwies sich als äusserst wirksam. Der gesellschaftliche Preis allerdings ist – nicht nur in Geld und Leben – hoch, sehr hoch! Die Schweiz setzt demgegenüber auf Föderalismus, individuelle Totalfreiheit (von manchen auch Spass- und Partyfreiheit genannt) und «Eigenverantwortung». Dummerweise ist auch bei uns der Preis hoch, sehr hoch – zumindest in Geld und in Leben.
XII
Zu den häufigsten Floskeln in dieser Corona-Zeit gehören:
Die Lage ist ernst
Die Situation ist kritisch
Unser Land ist stark, wenn wir gemeinsam handeln
Wir appellieren an die Eigenverantwortung
Der Föderalismus stösst an seine Grenzen
Wir müssen auch an die Wirtschaft denken
Die Menschen sind müde
Es wird ein anderes Weihnachten
Die nächsten Wochen sind entscheidend
Es ist fünf vor zwölf
Jeder Tag zählt
Wir müssen Sorge tragen zueinander
Es braucht jetzt die ganze Schweiz
Wir kommen nur gemeinsam durch diese Krise
Der Winter wird eine grosse Herausforderung werden
Die Zahlen sind besorgniserregend
Die Zusammenarbeit funktioniert gut.
Es braucht wirksamere Massnahmen
Es gibt Ausnahmen
Andere haben Sätze gesagt, die zumindest missverstanden werden konnten. Etwa
Ruth Humbel: «Nicht jeder Tod ist eine Katastrophe.». Oder
Bruno Damann: «Unsere Gesellschaft hat verlernt, zu sterben.» Oder
Andrea Gmür: «Wir haben mehr Tote, weil wir mehr testen.» Und schliesslich
Andrea Caroni: «Bei jedem Respekt vor jedem Todesfall: Ich wäre froh, ich würde das durchschnittliche Alter der Corona-Toten erreichen.»
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