Erinnerung an unsere Ferien im Jahr 2007, als es noch keine Smartphones mit qualitativ hochstehenden Kameras gab. Dementsprechend mager sind Zahl (und damit Auswahl) und Qualität der Fotos. Aber Er-inner-ungen sollen ja auch Ver-inner-lichungen des Erlebten sein und nicht bloss aus Fotos bestehen – wobei man zugeben muss: Fotos können der Erinnerung ganz ordentlich nachhelfen und so manche Anekdote vor dem Vergessen bewahren.
Asciano
Asciano ist ein Dorf bzw. ein kleines Städtchen rund 100 km südöstlich von Florenz und 25 km südöstlich von Siena, Hauptort der sogenannten Crete Sienesi, eines Landstrichs, der benannt ist nach seiner hellen Erde («Siena» oder «italienischer Ocker» ist ein gelbes bis rotbraunes Pigment, benannt nach der Erde rund um die Stadt Siena).
Der Legende nach flüchteten Ascanius und Senius, Söhne des Remus (Sie wissen schon: zusammen mit Romulus der Mitgründer der Stadt Rom ) 753 v. Chr. nach Norden. Senius gründete Siena und Ascanius eben Asciano. Vielleicht. Sicher ist, dass die Gegend damals durch die Etrusker besiedelt und Haxo genannt wurde. Aus Haxo wurde bei den Römern Axus und schliesslich Axianum. In den folgenden Jahrhunderten stritten sich Florenz und Siena immer mal wieder um Asciano.
Rund um Asciano gibt es mehrere Flüsse, am bekanntesten der Ombrone. Ein Bade-Paradies für unsere Hunde, wie die Fotos zeigen. Der Ombrone durchquert die Provinzen Siena und Grosseto von Nord nach Süd und mündet nach 160 km in das Tyrrhenische Meer. Woher der Name kommt, war nicht herauszufinden. Er war zwar fast überall braun, voller erdiger Pigmente, aber ombra bedeuet Schatten und brone jedenfalls nicht braun. So vermutet man halt, dass das Murren und Murmeln (brontire, brontolare) des Flusses ihm lautmalerisch zu seinem Namen verholfen hat.
Domenica sera, pneumatico forato e una visita al gommista
Was es zu berichten gibt aus diesen Ferien? Nichts Besonderes: Ausser vielleicht, dass wir eines schönen Sonntagabends (Sonntag und Abend, logo), als wir von einem Spaziergang in der Nähe von Montalcino zu unserem Auto zurückkamen, einen platten Reifen vorfanden. Keinen gewöhnlichen, sondern einen mit einem Messer herbeigeführten. Die Flanke des rechten Vorderreifens war 10 cm lang sauber durchtrennt. Nichts zu machen. So ein Touareg hat kein Reserverad, nicht mal ein Notrad, und der mitgeführte Abdicht-Spray hilft vielleicht bei einem Nagel im Gummi, aber grad gar nicht bei einem Schnitt in der Radflanke. Der TCS in Genf konnte – logisch – nicht helfen und die Kollegen des ACI, des italienischen Automobilclubs, wollten sich den Sonntagabend (es fand irgendein wichtiges Fussballspiel statt) nicht vermiesen lassen. Man beschied uns, wir sollten am nächsten Tag zum Gommista in der etwa 10 Kilometer entfernten nächsten grösseren Stadt. Wie, das interessierte niemanden. Für uns war die Frage hingegen von einer gewissen Bedeutung, denn unser Auto stand auf einem Feldweg, irgendwo in der Pampa, weit weg von der Hauptstrasse, einer Siedlung oder gar von unserem Ferienhaus. Im Auto übernachten mit drei Hunden? Eine enge Vorstellung. Also versuchten wir, die Vermieterin unseres Ferienhauses per Handy (Nokia oder Motorola selig oder so) zu erreichen. Die aber war grad in Mailand. Immerhin gab sie uns die Telefonnummer ihres Hausmeisters in Asciano. Der ältere Herr liess sich nicht nur erweichen, er verstand auch unser Problem und zuckelte deshalb mit seinem Punto Dreiviertelstunden bis zu unserem Standort. Wo es inzwischen Nacht geworden war. Dort packten wir Hunde und Ehefrau (tja, sorry) in den von den Rücksitzen befreiten Kofferraum und gondelten, massiv überladen, fast eine Stunde heim ins Ferienhaus. Der Punto hielt durch.
Am nächsten Tag fuhr mich der ältere Herr wieder zurück zu unserem Pannenfahrzeug, von dort zum Gommista (den gab es tatsächlich im nächsten Ort, auch wenn ich, was selten vorkommt, lange vor den ersten Mitarbeitern da war, die, vermutlich übernächtigt wegen der wichtigen partita del calcio, erst ab zehn Uhr nach und nach eintrudelten. Der vermutete Chef fuhr mit mir im Reparaturwagen die zehn Minuten bis zum Touareg, montierte den Pneu ab, fuhr zurück zur Werkstatt, suchte und fand – was ihn ebenso erstaunte wie mich – einen Pneu etwa gleicher Grösse (vor allem Breite), mit dem wir dann nach Auswuchtung erneut zum Touareg zurückkehrten und den Wagen fahrtüchtig machten. Der Montag war somit gelaufen, ich kam grad recht zum Nachmittagsspaziergang mit den Hunden, auf dem wir entschieden, uns mehr über die italienische Hilfsbereitschaft unseres Hausmeisters zu freuen als uns über (vermutlich) geistig zurückgebliebene Pneustecher aufzuregen.
Pienza oder: Le scarpe più belle del mondo
Doch, etwas ist noch zu berichten. Der Ausflug nach Pienza – einer kleinen Stadt im Val d’Orcia, zwischen Montepulciano und Montalcino (ja, der Wein schmeckte gut, aber billig war er nicht gerade, der Vino Nobile aus dieser Gegend) – wurde teuer. Nicht wegen des Weins, sondern wegen – was wohl in Italien? – der Schuhe. Ganz am Ende des Hauptsträsschens, an dem auch der bekannte Dom liegt, stiessen wir auf den bis dahin schönsten Schuhladen in diesem Teil Italiens. Nur in Florenz hatte ich – damals ein mittelloser Journalist und deshalb etwas kaufgehindert – ähnlich Aufregendes gesehen. Der Laden war voll glänzender, eleganter, farbiger Scarpe. Klar, ein wenig italokitschig, etwas stänzig, offensichtlich zu laut und zu auffallend und selbstverständlich jegliche orthopädische Vorgaben missachtend. Italienisch halt. Unwiderstehlich. Und wie immer, wenn ich mich nicht entscheiden kann zwischen zwei (manchmal auch drei) Exemplaren (leider nicht nur bei Schuhen), bleibt nichts weiter, als alle (beide oder drei, je nachdem) mitzunehmen, sofern die wirtschaftliche Situation es zulässt.
Die heute noch täglich sichtbare Folge des Kaufs: da die Schuhe viel zu schön waren, nein sind, um sie jeden Tag zu tragen, dienten sie bis heute eher als Ausstellungsstücke denn als Fussbekleidung draussen auf harten und schmutzigen Strassen, für die sie viel zu schade sind. Im Schuhgestell rufen sie fast fünfzehn Jahre später, wenig getragen, stattdessen täglich, bei jedem Blick auf sie, diese unvergleichliche Freude, diesen irrationalen, völlig privaten Besitzerstolz hervor, den nur kennt, wer italienisches Design, italienische Mode und die natürlich viel zu grelle Italienità liebt. Nur manchmal, selten genug, bei besonderen Gelegenheiten, ziehe ich die Pienza-Treter wieder an. Dann auch ungeachtet der schmerzhaften Enge, in die sich die nach fünfzehn Jahre leider etwas breitgetretenen Füsse zwängen müssen. Eine halbe Stunde oder so ist das auszuhalten.
«La donna che vuole apparire bella deve pagarlo con dolore in faccia.» sagt ein Sprichwort (vielleicht nicht zufällig) aus der Toskana. «Schönheit muss leiden», heisst es bei uns nicht ganz korrekt, denn nicht die Schönheit leidet bei italienischen Schuhen, sondern deren Träger oder Trägerin. Nun ja, eine der wenigen, vielleicht die einzige, Gelegenheit, bei der sich leiden lohnt.
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