27. April 2020
Kari, noch nachdenklicher als letztes Mal: Frage an die Bewunderer des schwedischen Wegs: Haben eigentlich alle «mit» oder «an» SARS-CoV 2 Verstorbenen zugestimmt, dass sie sich für die Herdenimmunität opfern wollen?
Für spätere Leser: Die Corona-Zeit ist die Periode in der Geschichte der Menschheit, so zwischen Januar 2020 und den frühen Dreissigern des 21. Jahrhunderts, in der die Menschen darüber stritten, ob man eher «mit» oder eher «an» einer Krankheit sterbe, in der man Alte in Altenheimen wie weiland Sieche in Siechenhäusern versorgte, in der Millionen von Eltern entdeckten, dass Kinder sehr lästig sein können, wenn sie zuhause sind, anderen hingegen auffiel, dass Familie das ist, was in der Wohnung und zur Unterhaltung an Erbaulichem übrig bleibt, wenn Fussball, Formel 1, Tennis und Skifahren wegfallen, in der man den uralten Nutzen von Grenzen wieder entdeckte, dass man sie nämlich nicht nur freizügig aufheben, sondern auch schliessen kann, in der fast die gesamte Industrie – von Autobauern bis Kleiderfabrikanten – begann, Billionen von Gesichtsmasken und Tausende von Beatmungsgeräten zu produzieren, in der viele Normalbürger ihr Haar länger und wirrer trugen und sich im Freien vor allem Biker und übergewichtig Gewordene tummelten, in der der kometenhafte Aufstieg der Epidemiologen und Virologen in die Zentren der Macht und der TV-Talkshows begann und in der Statistiken und das Streiten darüber auf Facebook zum Kreativsten und Unterhaltendsten gehörte, das die Gesellschaft zu bieten hatte.
Die frivole Gisela, ein bisschen verzweifelt in den Spiegel blickend: «Wo soll ich mich, wenn der Lockdown endlich vorbei ist, nur zuerst anmelden? Bei den Weight Watchers, bei den Anonymen Alkoholikern oder beim Coiffeur?
Reto, ein normalerweise sehr netter Nachbar, einer Risikogruppe angehörend: «Die Alten vor Corona schützen, indem man sie einsperrt? Warum sollen eigentlich nicht diejenigen zuhause bleiben, die das Übel in und auf sich tragen und es andern anhängen: die Jungen?» Man versteht Retos Altersfrust, mit dem er wohl etwas übers Ziel hinaus schoss, besser, wenn man weiss, dass er eben den Kommentar eines Herrn Schmid im St.Galler Tagblatt gelesen hatte. Unter dem Titel «Senioren sollen wegen Corona-Lockdown ein Solidaritätsprozent beisteuern» meinte Herr Schmid: «Angesichts der Tatsache, dass das Virus primär ältere Semester bedroht, darf die Frage nicht tabuisiert werden, ob es nicht opportun wäre, just die AHV-Generation mit einer Solidaritätsabgabe in die finanzpolitische Verantwortung zu nehmen.» Was Reto, ganz Herrn Schmids Logik folgend, übersetzte mit «Wer bedroht wird, soll zahlen!»
Tja, so schnell kann’s gehen. Wer gestern noch meinte, zur am meisten um- und beworbenen Konsumgruppe (den reichen Senioren) zu gehören, stellt heute irritiert fest, dass er Teil einer lästigen Risikogruppe ist, die man am liebsten wegsperren würde.
Gewisse Probleme sind in den letzten Wochen etwas «kleiner» geworden oder in den Hintergrund gerückt oder haben sich als eigentlich doch nicht ganz so existenziell wichtig erwiesen. Das ist ganz gut so. Nur, sie sind nicht verschwunden. Einige motten gar ganz heimlich vor sich hin und glühen in der Deckung medialer und gesellschaftlicher Ablenkung durch Corona heimlich vor sich hin. Das Problemspektrum reicht von der Frage der Wiedereinführung der Doppelnamen über die Heiratsstrafe, die Einheitskrankenkasse, Öko-, und andere Steuern, Dieselfahrverbote und Rahmenvertrag bis zur Flugzeugbeschaffung der Militärs. Clevere Politiker bringen sich jetzt in Stellung und überlegen, wie sich die Stimmung in der Bevölkerung, die zwischen Angst und Hoffnung, Dankbarkeit und Empörung, Nachdenklichkeit und Ungeduld changiert, am besten für die eigenen Zwecke nutzen liesse. Die Post-Corona-Zeit wird spannend – und nicht ungefährlich!
Unser Leben wird nach Corona anders sein. Das ist leicht vorherzusagen. Nur, wie anders, das ist schwieriger. Beispiel: Wenn sich die Pandemie in einem Land zu Tode gelaufen hat (wie in China), dann kommen Neuinfektionen nur noch von aussen – logisch. Der Tag wird also kommen, da sich die Frage stellt: Wie halten wir’s mit unseren Grenzen? 1. Zugeben, dass Grenzen Sinn machen? 2. Einsehen, dass Grenzen nichts nützen, wenn man sie nicht kontrolliert? 3. Dafür sorgen, dass man weiss, wer die Grenze übertritt und Kranke daran hindern, das zu tun? Alles nicht ganz einfach zu akzeptieren und umzusetzen. Wie gesagt: Das Leben nach Corona wird ein anderes sein.
Die Leute beten mehr in diesen Zeiten. Man kann sich darüber lustig machen oder zynisch darauf hinweisen, dass «der liebe Gott» von vielen Leuten offenbar vor allem dann – oder sogar nur dann – angerufen wird, wenn sie Angst haben um ihr bisschen Leben und ihren materiellen Wohlstand. Die frivole Gisela, für einmal ganz ernst: «Würde ich an einen glauben, wünschte ich mir genau so einen Gott: einen, der mir Hoffnung gibt, wenn’s mir besch** geht und mich nicht dafür tadelt, dass ich ihn die übrige Zeit vergesse.» OK, so einen tatsächlich sehr netten und gütigen, nicht nachtragenden, verständnisvollen und nicht immer mit Konsequenzen drohenden Gott könnte man sich auch als Agnostiker vorrstellen.
Der dumme Spruch am Ende:es gibt keine Problemlösungen ohne Lösungsprobleme.
Wie immer eifach guet geschrieben . Grüessli Rolf