Für Leute, die noch nicht genug davon haben
Gleich zu Beginn: 50 Minuten, deretwegen Leute nicht zu ertragen sind, die behaupten, Covid-19 sei eine gewöhnliche Grippe:
Man weiss nicht recht. Ist es eine Art Überheblichkeit (Mir macht das Virus schon nichts.), eher Kulturkritik (Das Leben ist halt ein Risiko und der Tod gehört zum Leben.), Feigheit (Ich werde sicher nicht zugeben, dass ich Bedenken habe.), blosse Dummheit (Ach, das Coronavirus ist auch nicht mehr als eine normale Grippe.), reine Ignoranz (Nur Kranke und Alte sterben daran.), sowas wie politischer Protest (Mir hat niemand zu sagen, was gesund oder gefährlich ist, schon gar nicht der Bundesrat.) oder gar Paranoia (Hinter dieser Coronahysterie stecken ganz andere Kräfte – Bill Gates etwa…), Altersrassismus (He nu, denn butzt’s halt die Alte, dasch immer schon gsi.), schlichte Angeberei (Ich hab doch keine Angst vor so einem Virüsschen.), Eigenverantwortungsgeschwafel (Jeder soll selber entscheiden können, ob er andere schützen oder gefährden will – ich kann auch sehr gut selber abschätzen, ob’s durch die Wohnstrasse 20 oder 80 verträgt.), kindischer Trotz (Nein, eine Schutzmaske mag ich nicht, will ich nicht, so eine Maske trag ich nicht.) oder wirkliche Sorge um die Sekundärfolgen (Es sterben viele nicht am Virus, sondern an den Folgen des Shutdowns, nur eben andere und an anderen Orten.)? Man weiss es nicht. Die Schweizer, nein, eigentlich nur die Deutschschweizer, und auch von denen nicht alle, haben ein ganz und gar eigenartiges Verhältnis zum Coronavirus. Sie haben die Pandemie so gut wie kaum ein mitteleuropäisches Land – ausser Österreich – in den Griff bekommen. Sie leisten sich eine völlig hysterische Angst (klar ist sie nicht hysterisch, sondern politisch gut kalkuliert) vor bundesrätlicher Autorität und reklamieren den Schutz von Daten, die sie seit Jahren und völlig unbedarft längst an Facebook, Amazone, Google, Twitter, TikTok, WhatsApp, Skype & Co verscherbelt haben. Sie halten sich – eigentlich – ganz gut an die Regeln des social distancing, verweigern aber als Einzige auf der Welt – mit Ausnahme der Schweden, die dafür viermal so viele Tote und Kranke aufweisen – stur das Maskentragen. Halb fürchten sie die zweite Welle, halb lachen sie über jene, die sie vorhersagen. Sie sind – eigentlich – gut informiert, haben aber keine Ahnung, was das Coronavirus in England, den USA, in Weissrussland, Brasilien, Mexiko und andern Ländern anrichtet, über die im TV und in 20Minuten nicht berichtet wird. Sie haben den Tsunami von 2004 noch in verschreckter Erinnerung, nehmen Corona mit bis heute mehr als doppelt so vielen Toten jedoch ziemlich gelassen zur Kenntnis. Merkwürdiges Volk, das trotz logischer Defizite vieles gut und besser macht.
Es war doch so einfach vorherzusagen – Virologen, Epidemiologen und weitere Kurven- und Statistikkundige haben es auch getan (was sie nicht gerade beliebt macht; wer mag schon, jene, die am Ende recht bekommen haben?): Wenn die Massnahmen gegen die Corona-Pandemie bzw gegen die Überlastung unseres Gesundheitswesens, gegen das tausendfache Sterben von Alten, völlig durchschnittlich «Vorerkrankten» und ein paar mit Pech geschlagenen Jungen erfolgreich sind und all das rund um die «erste Welle» Befürchtete nicht eintritt, werden die Schlaumeier und die Windbeutel aus ihren muffigen Stuben kriechen und behaupten: es wäre auch nichts passiert, wenn wir keinen Milliarden teuern Lockdown (bzw shutdown, aber egal) verordnet bekommen hätten. Und wenn er anfangs noch richtig war, dann hätte man ihn wenigstens viel früher beenden müssen. Und wissen Sie was? Sie werden diesen Nachher-Klugen nie, gar nie, beweisen können, dass sie unrecht haben. Das ist – immer und überall – das Schicksal derjenigen, die a) vorausschauend handeln und b) auch noch recht behalten. Sie müssen ihren Erfolg, von dem alle, auch die Unbelehrbarsten, profitieren, in Bescheidenheit, angezweifelt, angefeindet, gelegentlich (verbal) verprügelt, auf Facebook beschimpft und von Besserwissern verhöhnt, ertragen. Oder mit Gleichgesinnten heimlich ein bisschen geniessen.
Das Ganze nennt sich übrigens Vorsorgeparadoxon: Wie bei der Masernimpfung. Weil’s keine Masern gibt, lassen viele Leute sich bzw ihre Kinder nicht impfen, denn jeder hunderttausendste Geimpfte hat schwerwiegende Nebenwirkungen. Gäbe es die Masern noch, würden etwa jeder Zweitausendste sterben (in Entwicklungsländern noch viel mehr), jeder Tausendste kriegte eine Hirnhautentzündung und etwa 5 von 100 eine Lungenentzündung. Aber eben, es gibt ja kaum mehr Masern.
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