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AutorenbildRichard Altorfer

Darf man an der Corona-Krise etwas positiv finden?


Darf man an einem Krieg irgendetwas positiv finden? Eher nicht, oder? Kameradschaft, Aufopferungsbereitschaft, Heldentum, Hilfsbereitschaft – nichts davon wiegt den Horror eines Krieges auf. Wie aber ist das beim Kampf gegen das Coronavirus? Wir führen Krieg gegen ein Virus, sagte Macron. Also alles nur Kriegselend, das wir erleben? Nein, wir kommen soeben von einem Spaziergang an der Thur zurück. Und der war schön. Irgendwie speziell. Anders als sonst. Und ja, man muss zugeben, irgendwie angenehm anders.


Darf und soll man sich über so einen Tag am Fluss freuen, mitten in einem Krieg, der anderen, weniger Glücklichen, Tod und (wirtschaftliche) Zerstörung bringt? Ja klar darf man. Sich grämen und jammern hilft niemandem. Aber sich bewusst machen und gewahr bleiben: dass das Virus ein längst und immer schon bestehendes Übel noch verstärkt. Das Übel heisst Ungleichheit. Oder moralisch befrachteter: Ungerechtigkeit. Sie ist vielleicht die schlimmste aller Folgen dieser epidemiologischen Krise:


Zwar können wir, die Schweiz, eine reiche Nation, vieles tun, um die Ungerechtigkeit etwas auszugleichen. Tun wir ja auch – wie immer für die einen zu zögerlich, für die andern zu grosszügig. Aber wir versuchen es. Nur, jenseits der Grenzen unseres mit Reichtum (und Bildung, einer direkten Demokratie und mehrheitlich vernünftigen Politikern) «gesegneten» Landes, ist der Versuch, Gerechtigkeit herzustellen, schon sehr viel schwieriger. Zwar wird im vergleichsweise reichen Europa kaum einer verhungern, in andern Regionen dieser Welt wird das aber anders sein. In Afrika, Südamerika, Asien, ja sogar in den USA werden zusätzlich zu den Abertausenden Corona-Toten (keiner wird sie je zählen!), mindestens so viele an den Folgen der Schutzmassnahmen zugrunde gehen.


Nein, wir vergessen sie nicht, die böse Fratze der Krise. Nicht die Beizer und ihre Angestellten, die den verlorenen Umsatz nie und nimmer wieder gut machen können – und die doch mit Freude, die ihrerseits Freude berreitet, ihre Arbeitsplätze coronagemäss organisieren und die strengen Hygienevorschriften ernst nehmen), nicht die Kurzarbeitenden, die mit weniger Lohn auskommen müssen, nicht die Angehörigen von Berufen, die vorderhand noch im Lockdown verharren müssen, und schon gar nicht die, die ihren Job ganz los geworden sind. Und wir vergessen auch die geschlossenen Grenzen nicht und nicht die Freiheiten, die «man» uns (nicht immer einer stringenten Logik gehorchend, aber zumindest in der direktdemokratischen Schweiz sicher nur vorübergehend) geraubt hat.


Aber zurück zum Thur-Spaziergang: Doch, diese Krise hat auch ihre erfreulichen Seiten. Man kann darüber schmunzeln oder sich über die Privilegierten ärgern. Wie man will; Jedenfalls, man darf feststellen, dass der Alltag etwas weniger hektisch (entschleunigt müsste das Modewort wohl heissen) wurde. Aber nicht nur das: Man begegnet Leuten, die man ohne Corona nie gesehen hätte, lernt Wälder, Wege und Tümpel kennen, an denen man nie vorbeigekommen wäre, es ergeben sich freundliche Gespräche mit Fremden (auf Distanz natürlich). Die meisten Menschen – mit oder ohne Hund, mit oder ohne Kinder, spazierend oder joggend, sogar jene auf Bikes (und das will etwas heissen!) grüssen freundlich. Man beobachtet Eltern, denen, so will es einem scheinen, ihre Kinder noch nicht lästig geworden sind. Man trifft auf grillierende Väter, die ungeschickt, aber eifrig versuchen, Frau und Kindern ein abenteuerliches Mahl zu bereiten, und niemand schimpft, nur weil ein Teil des Salat auf den Boden flattert. Junge Pärchen spazieren im Wald, als hätten sie keine Party im Sinn. Und etwas vom Anrührendsten: Vater und Töchterchen suchen Blumen für die – logisch, das Zvieri zubereitende Mutter.


Die Frau im Hofladen, sie freut sich, obschon sie müde ist vom ständigen Nachfüllen, sogar am Sonntag – weil die Leute merkwürdigerweise plötzlich auf Bio-Produkte stehen. Vielleicht weil sie jetzt Zeit haben, überhaupt einen Hofladen aufzusuchen; vielleicht aus regionaler Solidarität oder weil er/sie der geschlossenen Restaurants und Läden wegen Geld gespart hat. Ja, man kann sie tatsächlich erleben, die friedliche Krise, die angenehmen Nebeneffekte, die social closeness bei allem physical distancing. Dinge, Erlebnisse, Zeit, die man eigentlich nicht mehr missen möchte. Mal schauen, wie lange das anhält. Bis heute Abend auf jeden Fall. Und wer weiss, vielleicht morgen auch noch.

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